Donnerstag, 13. Januar 2011

Rush Hour

Ich war schon länger nicht mehr zwischen 17:00 und 18:00 Uhr in der City, in der Stadtmitte. Das meide ich. Wie auch die Zeit zwischen 7:30 und 8:30 Uhr morgens. Denn da ist Krieg. Auf den Strassen, in den Trams und Bussen der Zwingli-Stadt, auf den Trottoirs und überhaupt überall. Meine Güte. Die Leute drängeln, schubsen, rennen um die Wette, ein Lächeln sucht man vergebens und wenn man doch eins findet, ertappe ich mich selbst, wie ich mich über diesen sonderbaren Gesichtsausdruck in einer solchen Ausnahmesituation wie der Rush Hour wundere. 

Allgemein wird man ja blöd angeschaut, wenn man alleine unterwegs ist und lächelt. Oder gar lacht. 'Ui nei, sicher uf Droge…" Naja. Man hat ja nix zu lachen hier, gälled. Schlimm, diese Welt. Schlimm, diese vielen Leute. Schlimm, wie teuer alles ist hier. Schlimm, wie wir Woche für Woche träumend auf unseren Bürostühlen hocken und die Zeit bis zum wohlverdienten Wochenende totschlagen. Damit wir dann Freitags endlich die Sau rauslassen können, trinken, feiern, tanzen können, die schönen Dinge im Leben geniessen dürfen. Bis es dann Montagmorgen von vorne beginnt. Der liebe Tinguely Dä Chnächt erläutert dies ganz schön zusammen mit Baze in seinem Track "Wiä Iähr" auf seinem grandiosen Album "Bar", das ihr euch sowieso alle kaufen solltet. Aber ich schweife ab.

Jedenfalls begab ich mich heute eher unfreiwillig in die Höhle des City-Löwen ans schöne Zürcher Bellevue. Gut, ich war sowieso durch andere Umstände leicht gereizt und etwas nervös, aber… Das hält ja kein Mensch länger als zwei Minuten aus! Grimmige Gesichter, Stress, die  Begriffe "Spazieren" oder "Laufen" werden hier nicht angewendet, eher "Sprinten" oder das meiner Meinung nach saublöde "Gehen". Jesses. Die haben's eilig. Schnell nach Hause. Schnell in die warme Stube. Obwohl es ja gar nicht mehr so kalt ist. Schnell weg von hier. Nun, auch ich bin nicht rumgeschlichen. Lief schneller. Lief in Leute rein. Wieso sollte ICH ausweichen? Wieso? Das hat sich der Herr Anzugträger sicher auch gefragt, als er auf mich zulief. Doch eben. Peng. Ellenbogen in die Rippen. Nach einem bösen Blick und einem zischenden "Hupetz?" rannte ich weiter. 

Denn ich hatte Entzugserscheinungen. Nach fünfstündiger Zigaretten-Abstinenz passiert das. Doch zuerst Geld abheben. Kann ja nicht so schwierig sein in der Banken-Metropole. Ha, Pustekuchen. Gefühlte 100 Geldautomaten später und der ständig gleicher Meldung "Transaktion abgebrochen - bitte Karte entnehmen" wurde ich sauer. Und zwar so richtig. Doch was hatte ich gelernt? Erstmal cool bleiben. Wusa. Also stoppte ich ruckartig meine Sprint-Tour, was zu Folge hatte, dass einige Personen hinter mir genaueso ruckartig stehen bleiben oder ausweichen mussten, damit sie nicht in ihrem Dauer-Stress in mich hineinrannten. Ich erntete böse Blicke und zischende Kommentare. Cool bleiben.

Ich schloss meine Augen, atmete tief ein und aus, horchte den Klängen der Menschen und Maschinen um mich herum und entspannte mich. Ich dachte an die schönen Dinge des Lebens. An die schönen Momente, an die täglichen Freuden, auch wenn sie manchmal noch so klein waren. Ich weiss nicht, wie lange ich vor dem grünen Marroni-Stand ausharrte, doch als ich meine Augen wieder öffnete, war es still. Immer noch eilende Menschen, immer noch quietschende Trams und hupende Autos. Aber still. Ich setzte ein Lächeln auf und schlenderte zur Haltestelle. Stieg ins Tram, fand sogar einen leeren Platz, fuhr nach Hause und öffnete die Schachtel Notfall-Zigaretten. 

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