Donnerstag, 30. August 2012

Erlaubt ist, was nicht stört.

Der Regen prasselt auf uns nieder, die Gesichter der lieben Zürcher sind noch hässiger als sonst, die Trams und Busse quietschen und platzen aus den Nähten, es ist nass, kalt und grau. Zürich im Regen gleicht einer Beerdigung auf Staatsebene. Man wettert über das Wetter, wo bleibt die Sonne? Heult doch. Es war ja heiss, viel zu heiss. Ihr konntet genug in der Badi hocken. Ich mags ja lieber etwas kühler. Muss nicht um den Gefrierpunkt sein, denn dann motz ich auch, aber wenigstens kann man bei diesem Wetter besser atmen. Und lüften. Und warme Pullis anziehen. Hallo, es ist schliesslich bald September! Mann. 

Jedenfalls sitze ich heute Mittag im 15-er Tram und höre Musik. Natürlich via Kopfhörer, denn ich bin keine 16 Jahre alt und muss meine Musik nicht mit allen teilen. Wäre mir auch etwas peinlich. Nun gut. Da sitze ich und höre trotz Beschallung meiner Ohren eine südamerikanische Sängerin im Tram "Guantanamera" singen. Ein schönes Lied. Naja. Zumindest hat sie eine schöne Stimme. 

Nach den ersten paar Tönen schnaubt mein älterer Sitznachbar schon dermassen, als würde er für einen Büffelschnaub-Wettbewerb üben. Murmelt Unverständliches vor sich hin. Nach einer Tramstation ist die Troubadourin auch schon wieder fertig mit ihrer gesanglichen Darbietung und bittet die Fahrgäste freundlich um etwas Geld. Nun schnaubt mein Sitznachbar noch heftiger als ein überhitzter Teekocher und wartet nur darauf bis sie unsere Plätze erreicht hat, um ihr mitzuteilen, dass es verboten sei, in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu betteln und zu singen. Unterstützt wird der unausgeglichene Herr von der etwas zu fest geschminkten Menopause-Tussi, die mit geschätzten 60 Jahren immernoch "hipp" sein möchte und sich dementsprechend gekleidet hat. Weisse Jeansjacke mit Nieten. So schön. "Die sött sich gschiider en Job sueche!" raunt sie dem Herr augenrollend zu, der  ihr sofort mit übertriebenem Nicken zustimmte.  

Wahrscheinlich hat die fesche Dame selber noch nie richtig in ihrem Leben gearbeitet. Oder vielleicht auch schon, was weiss ich. Aber so wie ich sie nicht verurteile (ausser die Jacke, die geht gar nicht), sollte sie die Bettlerin / Sängerin / was weiss auch ich nicht verurteilen. Wer weiss, ob sie sich damit einfach noch einen Batzen dazu verdient. Wer weiss, vielleicht wollte sie auch einfach die Haushaltskasse bisschen aufstocken um ihren Kindern ein Geburigeschenk kaufen zu können. Leben und leben lassen, bitte. Und falls euch die Musik nicht gefällt, ja dann haut doch ab und fährt mit euren scheiss Offroadern in die Stadt. Erlaubt ist, was nicht stört. Ist so eine 2-minütige Sing-Session echt so störend? Ich finde nein.  

"Gopfätamminonemal", sage ich dem Rentner, "Etz tüend sie doch nöd eso, lönd Sie sie doch singe! Tuet ja niemertem weh! Und bitz Musig isch ja no schön wänns ja scho so grusig rägnet, oder." Es sei ja schliesslich "Guantanamera" und nicht "Guantanamo". Ohne ein Wort zu sagen steht der Greis auf und blickt mich böse an. Ich lächle ihm zu und schenke der Tramsängerin etwas Münz. Ja, natürlich. Ich weiss. Betteln ist nicht erlaubt. Ja ja, Musizieren auch nicht. Aber hey, ist doch halb so schlimm. Eure Ruhe ist ja bald wieder ungestört. Nöd brüele. Ich stehe auch auf und verlasse das Tram, der ohrenbetäubende Lärm der mindestens 500 Baustellen rund ums Bellevue machen mir das Musikhören unmöglich. Was solls. Leben und leben lassen, beruhigt euch, gibt schlimmeres auf der Welt. Oder? 

Die Ruhe wird auch am Samstag massiv gestört, aber schön legal und garantiert ohne  griesgrämige Rentner und rassige Nieten-Jacken-Damen. Denn dann findet die nächste "Ruhestörung" im EXIL statt. Dieses Mal werden die international bekannten DJs und Producer TASK HORIZON zusammen mit dem bombastischen MC SPYDA aus England ihr neues Label "EVOLUTION CHAMBER" lancieren. Mit dabei sind auch die Herren Spite, Tony Martinez, Inca und Randy. Es wird laut, es wird gut und es wird Bass geben. Viel Bass. Und wer weiss, vielleicht erscheint ja die "Guantanamera-Tram-Sängerin" als Special Guest? Wir werden sehen. Oder hören. 


Donnerstag, 16. August 2012

Züri Breeze

Die Ferien sind vorbei. Also natürlich für diejenigen, die hatten. Für alle anderen heisst es jetzt: die Stadt ist wieder voll. Die lauschigen Plätzchen für gemeinsame Zweisamkeiten werden wieder mit tollwütigen Teenies mit Alcopops und Handy-Sound gestört, der Letten gleicht einem wild gewordenem Botellon mit Fleischbeschau wie beim Metzger ums Eck und die Langstrasse erstrahlt in neuem Aargauer-und-Ostschweizer-Studi-Glanz. 

Ach. War schon schön, diese paar Wochen mit weniger Menschen. Weniger anstehen an der Bar. Mehr Platz zum Tanzen. Mehr Platz zum Leben. Keine Rush-Hour-Rangeleien in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und einfach weniger Arschlöcher, die einem den Tag vermiesen. Natürlich hat diese kurzlebige Geisterstadt auch seine Nachteile, schreit das Veranstalter-Herz. Der Club wird nicht mehr so schnell gefüllt, und ist es noch warm dazu, tummeln sich die lieben Gäste lieber draussen vor dem Club. Doch übel nehmen kann ich ihnen das nicht. Würde es ja auch so machen. Oder. 

Ich freue mich auf den Herbst.  

Auf Openairs verzichte ich dieses Jahr ganz. Besser für meinen Geldbeutel, für meine Leber und für meinen Schlaf. Und überhaupt habe ich keine Nerven, mich inmitten von unwissenden Kindern, die mehr Hip als Hop sind, vor irgendwelche völlig überteuerten Acts zu stellen. Ich bleibe hier, denn in unserer Stadt gibt's mehr Rap als alle hippen Openairs zusammen. Direkt, von der Strasse in dein Herz. So muss es sein. Die Openair-Aufrtitte schaue ich mir lieber zuhause auf YouTube an, ohne nervigen Nierenboxer, stinkende Outdoor-Blunts und überteuerte Bierpreise. 

Und an alle, die den Strassenrap genauso feiern wie ich und auf billigen Pseudo-Rap scheissen, denen empfehle ich wärmstens die MDMA-Remix Plattentaufe von den Herren SKOR und STEEZO morgen Abend, 17. August, im Exil. Von der Strasse in den Club, so muss es sein. Alles andere kann uns mal. Drüfach.